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Seamless Luxury oder das Problem der Ausschließlichkeit

Joern E. Kengelbach © Kazutaka Tsugaoka
Joern E. Kengelbach © Kazutaka Tsugaoka

Essay von Joern Frederic Kengelbach, Chefredakteur Robb Report und AW Architektur und Wohnen, mit persönlichen Gedanken zum Luxusverständnis der Zukunft.

Joern Frederic Kengelbach: Ich werde ja sehr oft gefragt, was denn nun der ultimative Luxus sei. Und dabei ist mir vollkommen bewusst: Es ist an sich schon ein Privileg, sich darüber, und fast nur darüber, Gedanken machen zu dürfen. Ich schreibe diese Zeilen auf dem Weg zurück von der Kykladeninsel Mykonos, die sich gerade aufmacht in eine neue Ära als Luxusdestination. Zu diesem Zweck wurden dort letzte Woche erstmals Direktflüge aus Dubai eingeführt. Demnächst gönnt man sich einen neuen Airport. Womit wir beim Thema wären: Was unter Programmierern weltweit als „Seamless Travel“ in den letzten Jahren die Runde machte, und eigentlich das Reisen mit einem Ticket für verschiedene Verkehrsmittel meint, möchte ich unter der Überschrift „Seamless Luxury“ weiterdenken.

Unter Seamless Luxury verstehe ich Luxus, bei dem alles nahtlos und wie am Schnürchen klappt, und zwar für jeden Kundentyp. Das klingt erstmal banal, ist es aber ganz und gar nicht. Denn jeder Hotelier weiß, für die letzten Meter des totalen Genusses steigt der Aufwand exponentiell an. Der ultimative Luxus ist mathematisch betrachtet immer N = 1, also N meint hier die Losgröße und damit jeden einzelnen Kunden. Betriebswirtschaftlich betrachtet: Die Grenzkosten fallen nicht mit der Steigerung der Produkte. Der Maßanzug, den nur ein Schneider macht, der Butler, der Ihre Wünsche schon umgesetzt hat, wenn Sie das Hotelzimmer betreten, lassen sich nicht verbilligen, es sei denn der Schneider wird schlechter bezahlt.

Kommen wir zum Reisen, wo immerhin 50 Prozent des Umsatzes der gesamten Luxusindustrie gemacht werden. Studien zeigen, Direktverbindungen an Flughäfen werden über die Zukunft ganzer Regionen entscheiden, zumindest als Luxusdestination. Mich kostete schon die Hinreise von Hamburg mit der Lufthansa gute acht Stunden, die Rückreise entwickelt sich gerade zum Stopover-Albtraum Mykonos-Zürich-München-Hamburg. Wobei Hamburg unsicher ist. Dort ist Stromausfall am Flughafen. Ich frage mich, ob man das Geld für Stadtmarketing nicht lieber in ein mehrfach redundantes Stromnetz dort ausgegeben hätte. Für ein Ziel wie Mykonos, das gewöhnlich keine drei Stunden im Direktflug entfernt wäre, kann man also auch 15 benötigen. Mal abgesehen, dass bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt unseres Robb Report-Stammlesers in den USA von rund 650.000 US-Dollar und rund 220 Arbeitstagen diese Eskapade dieser Reise mit rund 3000 US-Dollar zu beziffern wäre, fällt der Verlust eines kompletten Urlaubstages unweit höher ins Gewicht. Wieviel wären Sie bereit dafür zu zahlen dass Sie direkt von A nach B kommen?

Das klingt nach einer banalen Sache oder einem rein logistischen Problem, ist es aber bei weitem nicht. Es geht mir hier nicht um Zeit und Geld, die angeblich ja der größte Luxus überhaupt sind. Das ist leider nämlich Blödsinn, beides sind Ressourcen, die Sie benötigen, um Luxus zu genießen, so wie Sie Wasser zum Kochen brauchen. Geld und Zeit sind Faktoren, die unsere persönlichen Freiheitsgrade aber massiv erhöhen. Was passiert, wenn Sie Zeit geschenkt bekommen, die Sie gar nicht wollten und sogar viel Geld haben, erlebt man ja landläufig in den Flughafen-Lounges, modernen Horrorkabinetten fehlgeleiteten Luxusverständnisses, die ich inzwischen meide, soweit es nur geht. Denn wenn Zeit und Geld Luxus wären, müssten diese ja ultimative Tempel des Genusses sein, Kulturstätten oder Wellness-Oasen, was sie aber nicht sind, da die Airlines sie bezahlen und nicht die CEOs oder Privatiers. Denn anstatt hier bewusst etwas mit seiner Zeit anzufangen, entdeckt man überall nur gelangweiltes, unkultiviertes Herumfläzen. Für mich gleichen die meisten Lounges eher Altersheimen, mit dem Unterschied, dass die einen auf den letzten Flieger warten, die anderen auf die letzte Reise. Bei überalternder Bevölkerung in den westlichen Industrieländern nähern sie sich inzwischen aber programmatisch an.

Seamless Luxury wird in Zukunft bedeuten, auf Reisen eben nicht auf Annehmlichkeiten von zu Hause verzichten zu müssen. Es ist das Problem der Ausschließlichkeit, das vielen klassischen Marken heute große Sorgen bereitet. Entweder ich baue Sportwagen oder SUVs. Beides geht nicht, sagt das klassische Luxusverständnis. Das ist aber leider völlig falsch, weil es nicht vom Kunden her denkt. Übrigens besteht der Gründungsmythos der Marke Porsche genau aus so einer Nicht-Ausschließlichkeit: Der Porsche 911 wurde als viersitziger Sportwagen konzipiert, etwas, was damals kein Hersteller machte. Es geht bei Luxus aber nie um Entweder-oder, sondern immer um Sowohl-als-auch. Anstatt sich am Flughafen mit billigem Fastfood in der Lounge vollzustopfen oder schlechte Drinks selber zu mixen, möchte ich beim Meditieren abschalten oder aufs Laufband, wenn ich schon dauernd unterwegs bin.

Big Data wird hier in Zukunft seine wahre Macht demonstrieren. Viele Kunden bekommen heute Dienste, die sie gar nicht nutzen, aber dennoch viel kosten: die Dusche am Airport, der Schuhputzdienst im Hotel. Ich bin fest überzeugt davon, dass viele sogenannte Luxusunternehmen derzeit viel zu wenig wissen über das, was die Kunden wirklich wollen oder es bewusst im Sinne der Gewinnmaximierung ignorieren. Was Kunden aber irgendwann spüren. Wenn es eben keine Liegesitze am Airport gibt, weil dann weniger gekauft wird.

Seamless Luxury wird daher in Zukunft, wenn er richtig verstanden wird, eine ganze Reihe neuer, in Wirklichkeit aber sehr alter Jobs zum Vorschein bringen. Seamless Luxury könnte auch heißen, dass Menschen zumindest auf Reisen wieder einen Butler bekommen. So wie Romanheld Phileas Fogg bei Jules Vernes ohne seinen Diener Passepartout in 80 Tagen nicht besonders weit gekommen wäre. Nicht ein Minimum an Service ist gefragt, damit man gerade nicht am Lufthansa-Transfer-Desk ausflippt, sondern Kenntnisse über Kundensorgen, noch bevor der Kunde dort überhaupt auftauchen könnte. Und ja, das setzt vertrauensvollen Umgang mit Kundendaten wie Ortung und persönliche Vorlieben voraus. Aber ohne wird es in Zukunft nicht gehen, denn die menschliche Psyche wird sich dem exponentiellen Reiseaufkommen nicht so leicht unterordnen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Seamless Luxury beschreibt eine smarte Weiterentwicklung der klassischen Dienstleistungsgesellschaft, die die Kundenwünsche schon befriedigt sieht, wenn die reine Leistung erbracht wurde. Das hat aber soviel mit Luxus zu tun wie ein Flughafen-Cappuccino aus der Nespresso-Maschine. Der ist zwar – zu Hause gelernt – nicht schlecht, aber seinen Mehrpreis nicht wert, wenn er als Service verkauft wird.

Letzten Endes ermöglicht viel Geld größere Entscheidungsspielräume. Aber welches Luxusunternehmen berücksichtigt sowohl den Kunden, der in 80 Tagen um die Welt kommen will, aber auch den, der es in einem will? Wer bietet den handgenähten Maßanzug aber auch den von der Stange? Der größte Luxus ist maximale Entscheidungsfreiheit beim Kunden und nicht Gewinnoptimierung beim Unternehmen zu Lasten dieser. Marken haben hier oft ein antiquiertes Markenverständnis: Schadet es wirklich dem Topkunden, wenn ein anderer nur für einen Bruchteil des Geldes einen Bruchteil der Leistung erhält? Eine wichtige Komponente des Seamless Luxury wäre es, sich entscheiden zu können – und bei ein und demselben Unternehmen zu bleiben. Und zwar ganz bewusst.

Ich vergleiche das Reisen gerne mit den Shopping-Erfahrungen im Internet. Wenn Amazon es schafft, den Menschen schneller und sicherer Luxusuhren zu liefern als ein Luxusjuwelier, haben sie eine Berechtigung das zu tun, wenn nicht gar eine Verpflichtung. Wenn ein Kunde seinen Juwelier als kompetenten Ratgeber schätzt, wird er weiter dennoch dort kaufen, weil er vielleicht weiß, dass er irgendwann einen Service braucht. Wahrer Luxus bedeutet für mich daher nicht Optimierung des Kernproduktes im Zuge einer Effizienzsteigerung, sondern genau das Gegenteil: Optimierung des Kundenerlebnisses im Sinne der Zufriedenheitssteigerung. Hier sollten Luxusunternehmen, die nicht ins Hintertreffen geraten wollen, alte Markenbilder schnellstens über Bord werfen.

Hier wird das Internet der nächsten Generation viel helfen können. Aber nur, wenn die Gesellschaft akzeptiert, persönliche Kundendaten nicht generell zu tabuisieren, sondern sicher – hier könnten Blockchain-Technologien helfen – zu verwenden. Das Ziel wäre die individuelle Dienstleistungsgesellschaft. Der Aufwand ist wie eingangs erwähnt gigantisch, aber Unternehmen, die vor diesem Berg die Augen verschließen, werden schon in wenigen Jahren nicht mehr als Luxusunternehmen akzeptiert sein, davon bin ich zutiefst überzeugt. In der idealen Welt des Seamless Luxury wäre dann am Ende jeder Kunde wirklich König, egal wieviel Geld er hat. Was ich für so ziemlich die höchste Form des Luxus in einer demokratischen Gesellschaft halten würde.